Die Rede von der „neuen Unterschicht“
Armut ist moralisches Versagen – dieses Deutungsmuster suchen Thilo Sarrazin und seine Mitstreiter in der öffentlichen Debatte zu verankern. Sarrazins angelsächsische Vordenker behaupteten schon in den 1980er Jahren, sozialstaatliche Leistungen seien schuld am Anwachsen einer antriebslosen Unterschicht, die sich auf Existenzminimum-Niveau behaglich eingerichtet habe. Auffällig ist, dass solche „Stop Welfare“-Argumente in Staaten mit ohnehin nur schwach ausgebautem Sozialstaat aufkamen. In klassischen Sozialstaaten wie Norwegen und Schweden ist von einer „neuen Unterschicht“ bis heute nicht die Rede.
Autor des Beitrags
Prof. Dr. Fabian Kessl ist Hochschullehrer an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, und unter anderem Mitherausgeber des Bandes „Erziehung zur Armut: Soziale Arbeit und die neue Unterschicht“ (gemeinsam mit Christian Reutlinger und Holger Ziegler, Wiesbaden 2007).